Einheitliche Berechnungsmethode beim familienrechtlichen Unterhalt

Einheitliche Berechnungsmethode beim familienrechtlichen Unterhalt

Medienmitteilung des Bundesgerichts 09/03/2021

Urteile (5A_907/2018, 5A_311/2019, 5A_891/2018, 5A_104/2018, 5A_800/2019)

Einheitliche Berechnungsmethode beim familienrechtlichen Unterhalt

Das Bundesgericht hat wichtige Fragen zum Unterhaltsrecht geklärt und teilweise die bisherige Praxis geändert. Zur Berechnung sämtlicher Arten von Unterhalt für Kinder oder Ehegatten ist künftig nur noch eine bestimmte Methode anzuwenden. Zudem nimmt das Bundesgericht eine Praxisänderung bei der Frage vor, wann einem Ehegatten nach der Trennung oder Scheidung die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit zuzumuten ist und in welchen Fällen von einer lebensprägenden Ehe auszugehen ist.

Die Pflicht zum Unterhalt besteht für Eltern gegenüber ihren gemeinsamen Kindern und bei der Trennung oder Scheidung allenfalls für einen Ehegatten gegenüber dem an- deren. Das Bundesgericht hat dazu in fünf Grundsatzurteilen seit vergangenem November wichtige Fragen geklärt und mehrere Praxisänderungen eingeleitet.

Drei Urteile (5A_311/2019, 5A_891/2018, 5A_800/2019) betreffen zunächst die Methode zur Berechnung aller Arten des Unterhalts (Barunterhalt des Kindes inkl. Betreuungs- unterhalt, ehelicher Unterhalt, Scheidungsunterhalt). Bislang überliess das Bundes- gericht die Wahl der Berechnungsmethode den kantonalen Gerichten (Methoden- pluralismus), was zu einer heterogenen Praxis in der Schweiz führte. Die unterschiedlichen Berechnungsmethoden variierten zwischen den Kantonen oder sogar innerhalb eines Kantons und wurden bei der Anwendung teilweise vermischt. Dies machte die anwaltliche Beratung schwierig, ging auf Kosten der Rechtssicherheit und konnte bei einem Kantonswechsel zu unbefriedigenden Ergebnissen führen.

Künftig ist die Höhe aller Unterhaltsleistungen anhand der sogenannten zweistufigen Methode mit Überschussverteilung zu berechnen. Dabei wird zunächst das Gesamt- einkommen der Eltern beziehungsweise der Ehegatten (gegebenenfalls auch der Kinder) ermittelt; anschliessend wird der Bedarf von allen Betroffenen festgelegt. Soweit die vorhandenen Mittel die (familienrechtlichen) Existenzminima übersteigen, ist der Überschuss nach der konkreten Situation ermessensweise zu verteilen. Bei unge- nügenden Mitteln kommt an erster Stelle der Barunterhalt für die minderjährigen Kinder, anschliessend der Betreuungsunterhalt, sodann ein allfälliger ehelicher oder nachehe- licher Unterhaltsanspruch eines Ehegatten und zuletzt der Unterhalt für volljährige Kinder. Das Bundesgericht hat in seinen Urteilen zudem weitere Details zur Anwendung der Berechnungsmethode im Einzelnen festgehalten. Mit der Vorgabe einer einheit- lichen Methode hat das Bundesgericht umgesetzt, was es vor einiger Zeit im Zusam- menhang mit der neu geschaffenen Unterhaltskategorie des Betreuungsunterhaltes und der Einführung des Schulstufenmodells angekündigt hatte (vgl. Pressemitteilung vom 28. September 2018; BGE 144 III 481).

Ausgangspunkt für die Vereinheitlichung bildete ein Fall (5A_311/2019), in welchem nach der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes die Obhut über das Kind dem Vater zugesprochen wurde. Weil er mehr verdiente als die Mutter, kamen die kantonalen Gerichte zum Schluss, dass er auch den gesamten Barunterhalt für das Kind bestreiten müsse; dass er dieses betreue, dürfe keinen Einfluss auf die Verteilung der finanziellen Lasten haben, da eine geldwerte Belohnung für die Übernahme der Erziehung des Kindes keinen Sinn mache, wenn der andere Elternteil ebenfalls wünsche, die Be- treuung übernehmen zu dürfen; abgesehen davon bedeute die Kinderbetreuung einen Zuwachs an Lebenserfahrung, die es nicht finanziell zu entschädigen gelte. Das Bun- desgericht rief in diesem Zusammenhang den Grundsatz in Erinnerung, dass Geld- unterhalt und Naturalunterhalt (Betreuungsleistung) gleichwertig sind und somit der- jenige, welcher seinen Beitrag durch die Betreuung des Kindes leistet, nicht auch noch für dessen Kosten aufzukommen hat. Von diesem Grundsatz kann allerdings ermessensweise ganz oder teilweise abgewichen werden, wenn der betreuende Eltern- teil finanziell deutlich besser gestellt ist.

In zwei weiteren Urteilen (5A_907/2018, 5A_104/2018) hat das Bundesgericht sodann verschiedene Grundsätze des Scheidungsrechts präzisiert. Zum einen hat es die soge- nannte „45er-Regel“ aufgegeben. Diese besagte, dass einem Ehegatten die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit nicht mehr zuzumuten ist, wenn er während der Ehe nicht berufs- tätig war und im Zeitpunkt der Aufhebung des gemeinsamen Haushalts beziehungs- weise bei der Scheidung das 45. Altersjahr bereits erreicht hatte. Neu ist stets von der Zumutbarkeit einer Erwerbsarbeit auszugehen, soweit eine solche Möglichkeit tat- sächlich besteht und keine Hinderungsgründe vorliegen wie namentlich die Betreuung kleiner Kinder. Massgeblich sind die tatsächlichen Verhältnisse des Einzelfalles unddamit unter anderem Kriterien wie das Alter, die Gesundheit, bisherige Tätigkeiten, per- sönliche Flexibilität oder die Lage auf dem Arbeitsmarkt.

Zum anderen hat das Bundesgericht den Begriff der lebensprägenden Ehe weiterentwickelt, welche im Scheidungsfall einen Anspruch auf Beibehaltung des bis- herigen ehelichen Lebensstandards gibt. Bislang wurde eine lebensprägende Ehe bereits angenommen nach einer Dauer von zehn Jahren oder – unabhängig davon – bei einem gemeinsamen Kind. Mit dieser relativ starren Lösung ging der unerwünschte Kippeffekt einher, dass entweder von einer nur ganz kurzen Unterhaltsrente (bei nicht lebensprägender Ehe) oder aber einer prinzipiell dauerhaften Fortführung der ehelichen Lebenshaltung ausgegangen wurde (bei lebensprägender Ehe). Neu ist eine individuelle Prüfung erforderlich, ob die konkrete Ehe das Leben der Ehegatten entscheidend geprägt hat; im Fall der Bejahung ist die Dauer der Scheidungsrente vor dem Hinter- grund der konkreten Umstände des Einzelfalles zeitlich angemessen zu befristen. Nach der neuen Definition ist eine Ehe dann lebensprägend, wenn ein Ehegatte seine öko- nomische Selbständigkeit zugunsten der Haushaltsbesorgung und Kinderbetreuung aufgegeben hat und es ihm deshalb nach langjähriger Ehe nicht mehr möglich ist, an seiner früheren beruflichen Stellung anzuknüpfen, während der andere Ehegatte sich angesichts der ehelichen Aufgabenteilung auf sein berufliches Fortkommen konzen- trieren konnte.

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Die Medienmitteilung dient zur Information der Öffentlichkeit und der Medien. Die verwendeten Formulierungen können vom Wortlaut des Urteils abweichen; für die Recht- sprechung ist einzig das schriftliche Urteil massgebend.

Die Urteile sind ab 09. März 2021 um 13:00 Uhr auf www.bger.ch abrufbar: Rechtsprechung > Rechtsprechung (gratis) > Weitere Urteile ab 2000 >Geben Sie die Urteilsreferenzen 5A_907/2018, 5A_311/2019, 5A_891/2018, 5A_104/2018 bzw. 5A_800/2019 ins Suchfeld ein.

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Betreuungsunterhalt | Erwerbstätigkeit gemäss Schulstufen- modell

Betreuungsunterhalt | Erwerbstätigkeit gemäss Schulstufen- modell

Medienmitteilung des Bundesgerichts 28/09/2018

Urteil vom 21. September 2018 (5A_384/2018)

Betreuungsunterhalt: Erwerbstätigkeit gemäss Schulstufen- modell – gerichtliche Prüfungspflichten im Einzelfall

Das Bundesgericht legt Richtlinien fest, ab wann und in welchem Umfang der hauptsächlich die Kinder betreuende Elternteil mit Blick auf die Unterhaltspflicht des anderen Elternteils einer Erwerbstätigkeit nachzugehen hat. Im Scheidungs- oder Trennungsfall kommt nach einer Übergangsphase oder bei fehlender Vereinbarung der Eltern über die Art der Betreuung das Schulstufenmodell zu Anwendung. Der hauptbetreuende Elternteil muss demnach ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes grundsätzlich zu 50 % eine Erwerbsarbeit ausüben, ab dessen Eintritt in die Sekundarstufe zu 80 % und ab seinem vollendeten 16. Lebensjahr zu 100 %. Davon kann im Einzelfall aus zureichenden Gründen abgewichen werden.

Per 1. Januar 2017 wurde das Kindesunterhaltsrecht revidiert. Nebst den direkten Kosten wie diejenigen für Nahrung, Kleidung und Wohnen des Kindes ist neu auch „Betreuungsunterhalt“ geschuldet. Dabei geht es um indirekte Kosten, welche ent- stehen, wenn ein Elternteil die Kinder selbst betreut und während dieser Zeit keiner Erwerbstätigkeit nachgehen kann. Die finanziellen Folgen aus dem Zeitaufwand für die Kinderbetreuung sollen auf diese Weise unabhängig vom Zivilstand von beiden Elternteilen gemeinsam getragen werden. Zuvor wurden Betreuungsleistungen einzig bei verheirateten Eltern über den ehelichen oder nachehelichen Unterhalt abgegolten. Dabei kam die sogenannte 10/16-Regel zur Anwendung. Danach musste der Elternteil, dem bei einer Trennung oder Scheidung die Kinder in Obhut gegeben wurden und der bislang keiner Erwerbstätigkeit nachging, ab dem 10. Lebensjahr des jüngsten Kindes ein Arbeitspensum von 50% aufnehmen und eine Vollzeitstelle ab dessen 16. Lebensjahr.

Das Bundesgericht kommt in seinem Entscheid zum Schluss, dass diese Regel für den Betreuungsunterhalt nicht sachgerecht ist und auch nicht mehr der heutigen gesel- lschaftlichen Realität entspricht. Bezüglich der stattdessen anzuwendenden Richtlinien erwägt das Bundesgericht, dass sich jeder Entscheid mit unmittelbaren Auswirkungen auf ein Kind an dessen Wohl messen lassen muss. Diesbezüglich hat der Gesetzgeber die Eigenbetreuung durch die Eltern und die Fremdbetreuung – zum Beispiel in einer Kinderkrippe – als gleichwertig bezeichnet. In diesem Sinne gibt es keine verallge- meinerungsfähige Vermutung zugunsten des einen oder des anderen Betreuungs- modells. Grundsätzlich entscheiden die Eltern darüber, welche Betreuungsform für ihr Kind geeignet ist und in welchem zeitlichen Umfang die Eigen- oder Fremdbetreuung erfolgen soll. Weil stabile Verhältnisse dem Kindeswohl dienlich sind, ist bei fehlender Einigung der Eltern im Trennungs- oder Scheidungsfall jedenfalls in einer ersten Phase das von diesen vor der Aufhebung des gemeinsamen Haushaltes vereinbarte, be- ziehungsweise praktizierte Betreuungsmodell fortzuführen. Für die weitere Zeit, aber auch wenn keine elterliche Vereinbarung über das Betreuungsmodell besteht, ist das Schulstufenmodell anzuwenden. Demnach soll der hauptbetreuende Elternteil ab der obligatorischen Einschulung des jüngsten Kindes grundsätzlich zu 50 % einer Erwerbs- arbeit nachgehen, zu 80 % ab seinem Eintritt in die Sekundarstufe und zu 100 % ab vollendetem 16. Lebensjahr. Dies gilt künftig auch beim ehelichen oder nachehelichen Unterhalt zwischen verheirateten oder geschiedenen Eltern. Für die Anwendung des Schulstufenmodells spricht, dass der obhutsberechtigte Elternteil mit der Einschulung des Kindes während der betreffenden Zeit von der Betreuung entlastet wird. Die schulische Betreuung dehnt sich sodann im Verlauf der Jahre aus. Dies, sowie die allgemeine Entwicklung des Kindes lassen eine Erweiterung der zumutbaren Erwerbs- quote nach Schulstufen des Kindes als angezeigt erscheinen. Dem Charakter einer Richtlinie entsprechend, kann im Einzelfall aus zureichenden Gründen vom Schulstufen- modell abgewichen werden. Darüber hinaus, namentlich aber auch für Kinder im Vor- schulalter, muss der Richter prüfen, ob im konkreten Einzelfall vor- oder ausser- schulische Betreuungsangebote bestehen, welche angemessen sind und von der per- sönlichen Betreuung entlasten können. Entsprechende Angebote sind insbesondere dann näher zu prüfen, wenn die finanziellen Mittel knapp sind und eine Ausdehnung der Erwerbsarbeit ökonomisch sinnvoll erscheint. 

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Die Medienmitteilung dient zur Information der Öffentlichkeit und der Medien. Die verwendeten Formulierungen können vom Wortlaut des Urteils abweichen; für die Recht- sprechung ist einzig das schriftliche Urteil massgebend.

Das Urteil ist ab 28. September 2018 um 13:00 Uhr auf www.bger.ch abrufbar: Rechtsprechung > Rechtsprechung (gratis) > Weitere Urteile ab 2000 > 5A_384/2018 eingeben.

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Betreuungsunterhalt für Kinder | Bemessung nach der „Lebenshaltungskosten-Methode“

Betreuungsunterhalt für Kinder | Bemessung nach der „Lebenshaltungskosten-Methode“

Medienmitteilung des Bundesgerichts 17/05/2018

Urteil vom 17. Mai 2018 (5A_454/2017)

Betreuungsunterhalt für Kinder: Bemessung nach der „Lebenshaltungskosten-Methode“

Zur Bemessung des 2017 eingeführten Betreuungsunterhalts für die gemeinsamen Kinder von verheirateten oder unverheirateten Eltern kommt die „Lebenshaltungs- kosten-Methode“ zur Anwendung. Der Betreuungsunterhalt umfasst somit grund- sätzlich die Lebenshaltungskosten der betreuenden Person, soweit diese wegen der Kinderbetreuung nicht selber dafür aufkommen kann.

Per 1. Januar 2017 wurde der Unterhalt der Eltern für ihre Kinder neu geregelt. Gemäss den Bestimmungen der Artikel 276 und 285 des Zivilgesetzbuches (ZGB) dient der Unterhalt auch der Gewährleistung der Betreuung des Kindes. Erfasst werden neben den direkten Kosten – wie diejenigen für eine Drittbetreuung des Kindes – auch die indirekten Kosten für die Kinderbetreuung durch einen Elternteil (sogenannter „Betreuungsunterhalt“). Die finanziellen Folgen aus dem Zeitaufwand für die Kinder- betreuung durch einen Elternteil sollen auf diese Weise unabhängig vom Zivilstand der Eltern von ihnen gemeinsam getragen werden. Der Gesetzgeber hat indessen keine konkrete Methode zur Bemessung des Betreuungsunterhalts festgelegt.

Das Bundesgericht entscheidet in seiner öffentlichen Beratung vom Donnerstag in einem Fall aus dem Kanton Genf über diese Frage. Es kommt zum Schluss, dass die Anwendung der sogenannten „Lebenshaltungskosten-Methode“ im konkreten Fall nicht willkürlich war. Die „Lebenshaltungskosten-Methode“ stellt zur Bemessung des Be- treuungsunterhalts die adäquateste Lösung dar. Dieses Modell entspricht am besten

Lausanne, 17. Mai 2018

Medienmitteilung des Bundesgerichts

den vom Gesetzgeber verfolgten Zielen und wird auch von einem grossen Teil der Lehre befürwortet. Wie der Bundesrat in seiner Botschaft zur Gesetzesänderung festgehalten hat, werden im Normalfall die Erwerbsmöglichkeiten des Elternteils eingeschränkt, der die Betreuung des Kindes überwiegend übernimmt. In der Mehrheit der Fälle führt dies dazu, dass der betreuende Elternteil nicht mehr selber für seinen eigenen Unterhalt aufkommen kann. Das bedeutet, dass der Betreuungsunterhalt grundsätzlich die Lebenshaltungskosten der betreuenden Person umfassen muss, soweit sie diese wegen der Betreuung nicht selber bestreiten kann. Allerdings geht es beim Betreuungsunterhalt nicht um eine „Entlöhnung“ der betreuenden Person.

Die Betreuung des Kindes führt nur dann zu einem Anspruch auf Unterhalt nach der „Lebenshaltungskosten-Methode“, wenn sie während der Zeit erfolgt, in der der betreuende Elternteil sonst einer Erwerbstätigkeit nachgehen könnte. Unberücksichtigt zu bleiben hat damit grundsätzlich die Betreuung eines Kindes am Wochenende oder während sonstiger freier Zeit.

Was die Festlegung des Betreuungsunterhalts im konkreten Einzelfall betrifft, ist es letztlich Sache des Richters, über die Form und den Umfang der für das Wohl des Kindes erforderlichen Betreuung zu entscheiden (im Rahmen des aktuellen Urteils äussert sich das Bundesgericht nicht zur Frage, nach welchen Kriterien darüber zu entscheiden ist, ob anstatt der persönlichen Betreuung durch einen Elternteil allenfalls eine Drittbetreuung zu ermöglichen oder diese gar vorzuziehen ist). Grundsätzlich gehen die Lebenshaltungskosten nicht über das hinaus, was notwendig ist, um dem betreuenden Elternteil finanziell zu ermöglichen, sich um das Kind zu kümmern. Der Betreuungsunterhalt bemisst sich insofern nicht nach dem Einkommen der zahlungs- pflichtigen Person, sondern nach den Bedürfnissen des betreuenden Elternteils. Dabei ist im Prinzip auf das familienrechtliche Existenzminimum abzustellen.

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Die Medienmitteilung dient zur Information der Öffentlichkeit und der Medien. Die verwendeten Formulierungen können vom Wortlaut des Urteils abweichen; für die Recht- sprechung ist einzig das schriftliche Urteil massgebend.

Das Urteil wird nach Vorliegen der schriftlichen Begründung auf www.bger.ch veröffentlicht (Datum noch nicht bekannt) : Rechtsprechung > Rechtsprechung (gratis) > Weitere Urteile ab 2000 > 5A_454/2017 eingeben.

Zur heutigen Beratung werden auf www.bger.ch Filmaufnahmen zum Download veröffentlicht: Presse/Aktuelles > Medienplattform > Filmaufnahmen von öffentlichen Sitzungen.

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Praxisänderung bei böswilliger Veminderung des Einkommens

Praxisänderung bei böswilliger Veminderung des Einkommens

Medienmitteilung des Bundesgerichts 07/06/2017

Urteil vom 2. Mai 2017 (5A_297/2016)

Unterhalt für Ehegatten: Praxisänderung bei böswilliger Verminderung des Einkommens

Vermindert ein Unterhaltsschuldner sein Einkommen auf böswillige Art, ist eine Reduktion der Unterhaltsbeiträge an seinen (früheren) Ehegatten selbst dann aus- geschlossen, wenn der Verdienstausfall nicht rückgängig gemacht werden kann. Das Bundesgericht passt seine Praxis an und heisst die Beschwerde einer Frau gut, deren Gatte seine Arbeitsstelle zur Schädigung der Betroffenen aufgegeben hatte.

Der Mann war 2013 im Rahmen von vorsorglichen Massnahmen während des Scheidungsverfahrens zur Zahlung von Unterhaltsbeiträgen an seine Ehefrau ver- pflichtet worden. Rund zwei Jahre später verlangte er eine Reduktion der Unterhalts- beiträge, da er arbeitslos geworden sei. Die zuständigen Gerichte des Kantons Basel- Stadt reduzierten die Unterhaltsbeiträge an die Ehefrau entsprechend seiner neuen Einkommenssituation.

Das Bundesgericht heisst die Beschwerde der Frau gut und weist das Gesuch des Mannes um Abänderung des Ehegattenunterhalts ab. Bei der Bestimmung des Unterhaltsbeitrages ist grundsätzlich vom tatsächlichen Einkommen des Unterhaltspflichtigen auszugehen. Soweit dieses Einkommen nicht ausreicht, um den vom unterhaltsberechtigten Teil ausgewiesenen Bedarf zu decken, kann dem Unterhaltspflichtigen unter Umständen ein hypothetisches Einkommen angerechnet werden. Voraussetzung dafür ist, dass dem Unterhaltspflichtigen die Erzielung eines höheren Einkommens zumutbar und möglich ist. In einem Urteil von 2002 (BGE 128 III 4) hat das Bundesgericht entsprechend ausgeführt, dass bei einem Ehegatten, der sein Einkommen mit Schädigungsabsicht vermindert, nur dann hypothetische Einkünfte angerechnet werden dürfen, wenn er die Verminderung seiner finanziellen Leistungsfähigkeit rückgängig machen kann. An dieser Rechtsprechung kann nicht festgehalten werden. Bei einer böswilligen Verminderung des Einkommens durch den Unterhaltsschuldner ist demnach eine spätere Abänderung der Unterhaltsbeiträge selbst dann zu verwehren, wenn dieser die Verdienstreduktion nicht rückgängig machen kann. Im konkreten Fall hat der Betroffene seine gut bezahlte Arbeitsstelle aufgegeben, ohne dass ihm gekündigt oder ihm eine Kündigung von der Arbeitgeberin nahegelegt worden wäre. Vielmehr ergibt sich, dass zwischen den Parteien ein eigentlicher Scheidungskrieg herrscht und es dem Mann darum ging, den Fluss von finanziellen Mitteln an seine Ehefrau zu stoppen. Dieses Verhalten erweist sich als böswillig und damit als offenbar rechtsmissbräuchlich und schliesst eine Abänderung des Unterhaltsbeitrages aus.

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Das Urteil ist ab 07. Juni 2017 um 13:00 Uhr auf der Webseite www.bger.ch / „Rechtsprechung (gratis)“ / „Weitere Urteile ab 2000“ veröffentlicht. Geben Sie die Urteilsreferenz 5A_581/2015 ins Suchfeld ein.

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Kriterien für Entscheid über alternierende Obhut

Kriterien für Entscheid über alternierende Obhut

Medienmitteilung des Bundesgerichts 20/10/2016

Urteile vom 29. September 2016 (5A_904/2015, 5A_991/2015)

Bundesgericht definiert Kriterien für Entscheid über alternierende Obhut

Das Bundesgericht legt Kriterien fest, die von den Gerichten beim Entscheid über die Frage zu beachten sind, ob bei getrennt lebenden Eltern bezüglich Kinderbetreuung das Modell der sogenannten alternierenden Obhut in Betracht kommt. Massgebend ist, ob die Betreuung zu ungefähr gleichen Teilen aufgrund der konkreten Umstände mit dem Kindeswohl vereinbar ist.

Leben Eltern getrennt, ist festzulegen, wie sie ihre Kinder betreuen. Bei einer Betreuung des Kindes durch die Eltern zu ungefähr gleichen Teilen spricht man von „alternierender Obhut“. Auf den 1. Juli 2014 wurde im Zivilgesetzbuch (ZGB) als allgemeiner Grundsatz die gemeinsame elterliche Sorge eingeführt. Mit der gemeinsamen elterlichen Sorge steht die konkrete Ausgestaltung des Modells zur täglichen Betreuung der Kinder noch nicht fest. Jedenfalls auf Antrag eines Elternteils muss der Richter bei getrennt lebenden Eltern prüfen, ob eine alternierende Obhut in Frage kommt.

Das Bundesgericht legt in zwei aktuellen Entscheiden Kriterien zur Prüfung dieser Frage fest. Entscheidender Faktor ist immer das Wohl des Kindes. In der Kinderpsychologie finden sich verschiedene Meinungen zur alternierenden Obhut im Wechselmodell (wo das Kind abwechselnd am Wohnort des jeweiligen Elternteils lebt); teils sprechen sich diese mehr oder weniger absolut für oder wider dieses Betreuungsmodell aus. Aus kinderpsychologischen Studien lassen sich für eine Beurteilung im Einzelfall allerdings

Medienmitteilung des Bundesgerichts

kaum generelle Schlüsse ziehen. Ob die alternierende Obhut in Frage kommt und ob sie sich mit dem Kindeswohl verträgt, ist vielmehr jeweils gestützt auf eine die konkreten Umstände berücksichtigende Prognose zu beurteilen. Grundsätzlich kommt die alternierende Obhut nur dann in Frage, wenn beide Eltern erziehungsfähig sind. Weiter erfordert die alternierende Obhut organisatorische Massnahmen und gegenseitige Information der Eltern. Das setzt voraus, dass die Eltern fähig und bereit sind, in den Kinderbelangen zusammen zu kommunizieren und zu kooperieren. Zu berücksichtigen ist weiter die geografische Situation, namentlich die Distanz zwischen den Wohnungen der Eltern. Ebenfalls eine Rolle spielt die Stabilität, die eine Weiterführung des bisherigen Betreuungsmodells für das Kind gegebenenfalls mit sich bringt. Zusätzliche Gesichtspunkte sind die Möglichkeit der Eltern, das Kind persönlich zu betreuen, das Alter des Kindes, seine Beziehungen zu Geschwistern und seine Einbettung in ein weiteres soziales Umfeld. Sofern das Kind hinsichtlich der Betreuungsanteile der Eltern einen Wunsch ausdrückt, ist diesem Beachtung zu schenken, auch wenn es bezüglich der Frage der Betreuungsregelung noch nicht urteilsfähig ist. Während die alternierende Obhut in jedem Fall die Erziehungsfähigkeit beider Eltern voraussetzt, sind die anderen Beurteilungskriterien oft voneinander abhängig und je nach den konkreten Umständen von unterschiedlicher Bedeutung.

In den beiden aktuellen Fällen hat das Bundesgericht über Beschwerden gegen Urteile des Thurgauer Obergerichts und des Genfer Kantonsgerichts entschieden. Diese hatten im Rahmen von Eheschutzmassnahmen gegen eine alternierende Obhut der Eltern entschieden und die Obhut jeweils der Mutter zugesprochen, unter Einräumung eines Besuchsrechts für den Vater. Bezüglich des ersten Falles heisst das Bundesgericht die Beschwerde des Vaters wegen willkürlicher Beweiswürdigung durch die Vorinstanz teilweise gut und weist die Sache zur Neubeurteilung zurück. Im zweiten Fall weist es die Beschwerde des Vaters ab.

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Die Urteile sind ab 20. Oktober 2016 um 13:00 Uhr auf der Webseite www.bger.ch / „Rechtsprechung (gratis)“ / „Weitere Urteile ab 2000“ veröffentlicht. Geben Sie die Urteilsreferenzen 5A_904/2015 oder 5A_991/2015 ins Suchfeld ein.

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Zustimmung für Inlandumzug

Zustimmung für Inlandumzug

Medienmitteilung des Bundesgerichts 13/09/2016

Urteil vom 11.August 2016 (5A_581/2015)

Zustimmung für Inlandumzug bei gemeinsamer elterlicher Sorge

Das Bundesgericht klärt Fragen im Zusammenhang mit der Verlegung des Aufent- haltsortes des Kindes innerhalb der Schweiz bei gemeinsamer elterlicher Sorge und der dazu allenfalls notwendigen Zustimmung des anderen Elternteils oder der Kin- desschutzbehörde.

Auf den 1. Juli 2014 wurde im Zivilgesetzbuch (ZGB) als allgemeiner Grundsatz die gemeinsame elterliche Sorge eingeführt. Üben die Eltern die Sorge gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes verlegen, bedarf dies unter gewissen Umständen der Zustimmung des anderen Elternteils oder der Kindesschutzbehörde. Bei einem Umzug innerhalb der Schweiz ist die Zustimmung erforderlich, wenn der Umzug „erhebliche Auswirkungen auf die Ausübung der elterlichen Sorge und den persönlichen Verkehr durch den andern Elternteil hat“ (Artikel 301a Absatz 2 Buchstabe b ZGB).

Das Bundesgericht hält in einem aktuellen Entscheid fest, dass von „erheblichen Aus- wirkungen“ auf die elterliche Sorge in erster Linie auszugehen ist, wenn die Verlegung des Aufenthaltsortes das bisher gelebte Betreuungsmodell berührt. Massgeblich ist dabei in der Regel, ob dieses aufgrund der Distanz in unveränderter Form oder mit nur geringen Anpassungen weitergeführt werden kann oder ob es infolge des Umzugs geändert werden muss. Haben die Eltern das Kind bisher zu ungefähr gleichen Teilen betreut (alternierende Obhut), kann die Weiterführung dieses Modells schon ab einer geringen Distanz illusorisch werden. Die Schwelle zu „erheblichen Auswirkungen“ und

Medienmitteilung des Bundesgerichts

damit zur Zustimmungsbedürftigkeit kann aber auch bei ungleichen Betreuungsanteilen relativ bald erreicht sein, jedenfalls wenn die Betreuung mit einem Bringen und Abholen des Kindes zur Krippe oder Schule verbunden ist. Aus der parlamentarischen Debatte zur fraglichen Bestimmung ergibt sich, dass die Zustimmung des anderen Elternteils auch bei erheblichen Auswirkungen auf dessen Besuchsrecht erforderlich sein soll. Der Gesetzgeber hatte damit offensichtlich den Fall vor Augen, dass ein Elternteil die Betreuung des Kindes alleine übernimmt, während der andere im Rahmen des Besuchsrechts Kontakt zum Kind pflegt. Der Gesetzestext ist deshalb so auszulegen, dass sich die „erheblichen Auswirkungen“ des Wegzuges alternativ auf die Ausübung der elterlichen Sorge oder den persönlichen Verkehr beziehen können.

Zusammen mit dem Entscheid über die Zustimmung zum Wegzug ist von der zuständi- gen Behörde zu prüfen, ob eine Anpassung der elterlichen Sorge, der Obhut oder des Besuchsrechts nötig ist. Diese Prüfung hat einen engen Zusammenhang mit der Frage des Wegzuges, weshalb sie in der Regel nicht unterbleiben oder losgelöst vom Weg- zugsentscheid erfolgen darf.

Der konkrete Fall betrifft die unverheirateten Eltern eines sechs Jahre alten Kindes. Sie lebten nach der Auflösung des gemeinsamen Haushaltes weiterhin im gleichen Dorf im Berner Oberland. Die Mutter beabsichtigte einen Wegzug mit dem Kind nach Solothurn. Die zuständige Kindesschutzbehörde stimmte dem Umzug zu, was vom Obergericht des Kantons Bern bestätigt wurde, ohne dass eine Anpassung der Kinderbelange geprüft worden wäre. Das Bundesgericht heisst die Beschwerde des Vaters dahingehend gut, dass es die Sache zu entsprechenden Abklärungen und neuem Entscheid ans Ober- gericht zurückschickt.

Zu weiteren grundsätzlichen Fragen im Zusammenhang mit der Zustimmung zu einer Verlegung des Aufenthaltsortes des Kindes bei gemeinsamer elterlicher Sorge hat sich das Bundesgericht bereits in zwei früheren Entscheiden geäussert (Urteile 5A_945/2015 und 5A_450/2015, Medienmitteilungen des Bundesgerichts vom 7. Juli 2016 und vom 27. Juli 2016, abrufbar unter „www.bger.ch“).

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Das Urteil ist ab 13. September 2016 um 13:00 Uhr auf der Webseite www.bger.ch / „Rechtsprechung (gratis)“ / „Weitere Urteile ab 2000“ veröffentlicht. Geben Sie die Urteilsreferenz 5A_581/2015 ins Suchfeld ein.

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Wegzug ins Ausland und gemeinsame elterliche Sorge

Wegzug ins Ausland und gemeinsame elterliche Sorge

Medienmitteilung des Bundesgerichts 27/07/2016

Urteil vom 11. März 2016 (5A_450/2015)

Wegzug ins Ausland und gemeinsame elterliche Sorge

Das Bundesgericht hält weitere Grundsätze fest, die von den Behörden und Gerich- ten beim Entscheid über die Zustimmung zur Verlegung des Aufenthaltsortes von Kindern anzuwenden sind, wenn ein gemeinsam sorgeberechtigter Elternteil ins Ausland ziehen will. Ausgangspunkt zur Beurteilung der Frage, welche künftige Lösung dem Wohl des Kindes besser entspricht, bildet das bisherige Betreuungs- modell der Eltern. Zusammen mit dem Entscheid über den künftigen Aufenthaltsort des Kindes ist zudem die Betreuungs- und Besuchsregelung neu zu beurteilen und gegebenenfalls anzupassen.

Auf den 1. Juli 2014 wurde im Zivilgesetzbuch als allgemeiner Grundsatz die gemein- same elterliche Sorge über Kinder eingeführt. Die elterliche Sorge beinhaltet das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Üben die Eltern das Sorgerecht gemein- sam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsort des Kindes infolge Wegzugs ins Ausland verlegen, bedarf dies der Zustimmung des anderen Elternteils oder, falls dieser nicht einverstanden ist, der Kindesschutzbehörde, beziehungsweise des Gerichts.

An seiner öffentlichen Beratung vom 7. Juli 2016 legte das Bundesgericht erste Grundsätze fest, die beim behördlichen oder gerichtlichen Entscheid über den Wechsel des Aufenthaltsortes des Kindes infolge des Wegzugs eines Elternteils ins Ausland zu beachten sind (vgl. 5A_945/2015 Medienmitteilung des Bundesgerichts vom 7. Juli 2016, abrufbar unter „www.bger.ch“). Im Zentrum steht demnach die Frage, ob das Wohl des Kindes in der neuen Situation besser gewahrt ist, wenn es mit dem aus- wanderungswilligen Elternteil wegzieht oder wenn es sich beim zurückbleibenden Elternteil aufhält. In einem zweiten Entscheid äussert sich das Bundesgericht nun zu weiteren massgebenden Aspekten. So ist bei der Überlegung, an welchem Ort das Wohl des Kindes künftig besser gewahrt sein wird, vom bisherigen Betreuungsmodell auszu- gehen. Die Ausgangslage betreffend Kindeswohl ist somit grundsätzlich neutral, wenn die Eltern das Kind bisher gemeinsam betreut haben und dazu auch weiterhin willens und in der Lage wären. War bisher der wegzugswillige Elternteil ganz oder überwiegend die Hauptbezugsperson, wird es tendenziell zum besseren Wohl des Kindes sein, wenn es bei diesem verbleibt und mit ihm wegzieht. Eine allfällige Umteilung des Kindes an den in der Schweiz verbleibenden Elternteil ist – sofern dieser zur Aufnahme des Kindes überhaupt fähig, bereit und in der Lage ist – sorgfältig zu prüfen und kann namentlich bei veränderten Verhältnissen in Frage kommen. Nur unter speziellen Umständen und ausnahmsweise kommt eine Platzierung des Kindes bei Dritten in Betracht. Massgeblich bleiben immer die Umstände des Einzelfalls. Zusammen mit dem Entscheid über die Zustimmung zur Verlegung des Aufenthaltsortes des Kindes ins Ausland ist zudem die Eltern-Kind-Beziehung neu zu beurteilen; gegebenenfalls ist eine neue Regelung betreffend Betreuung, Besuchsrecht sowie Unterhalt zu treffen. Was die Ausgestaltung des persönlichen Verkehrs zwischen den Eltern und dem Kind betrifft, wird dabei oft kein Idealzustand erreicht werden können. Bei grösseren räumlichen Distanzen wird die Neuregelung meist darauf hinauslaufen, häufige Wochenendbesuche durch einzelne verlängerte Wochenendeinheiten oder längere Ferienaufenthalte zu kompensieren. Die Behörden sind gehalten, hier eine verbindliche und durchsetzbare Regelung zu treffen für den Fall, dass der auswanderungswillige Elternteil tatsächlich wegzieht. Dazu müssen bei diesem zumindest die Konturen des beabsichtigten Wegzugs feststehen, nicht notwendigerweise aber alle Details wie die künftige genaue Wohn- oder Schul- adresse.

Im konkreten Fall wurde die Ehe eines bisher im Kanton St. Gallen wohnhaften Paares 2014 geschieden. Der Mutter, welche aus Österreich stammt, wurde vom Gericht die Erlaubnis erteilt, den Aufenthaltsort der beiden fünf und sechs Jahre alten Kinder nach Graz zu verlegen, wo sie künftig leben will. Laut Bundesgericht ist die Erlaubnis zur Verlegung des Aufenthaltsortes der Kinder bundesrechtskonform, zumal nur die Mutter überhaupt bereit ist, die Kinder zur Hauptsache zu betreuen.

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Das Urteil ist ab 27. Juli 2016 um 13:00 Uhr auf der Webseite www.bger.ch / „Rechtsprechung (gratis)“ / „Weitere Urteile ab 2000“ veröffentlicht. Geben Sie die Urteilsreferenz 5A_450/2015 ins Suchfeld ein.

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Künftiger Aufenthaltsort des Kindes beim Wegzug eines Elternteils ins Ausland

Künftiger Aufenthaltsort des Kindes beim Wegzug eines Elternteils ins Ausland

Medienmitteilung des Bundesgerichts 07/07/2016

Urteil vom 7. Juli 2016 (5A_945/2015)

Gemeinsame elterliche Sorge: Künftiger Aufenthaltsort des Kindes beim Wegzug eines Elternteils ins Ausland

Das Bundesgericht legt erste Grundsätze fest, die von den Behörden und Gerichten beim Entscheid über den künftigen Aufenthaltsort von Kindern anzuwenden sind, wenn ein gemeinsam sorgeberechtigter Elternteil ins Ausland zieht: Im Zentrum steht die Frage, an welchem Ort unter Berücksichtigung der neuen Situation das Wohl des Kindes aufgrund der konkreten Umstände besser gewahrt sein wird.

Auf den 1. Juli 2014 wurde im Zivilgesetzbuch als allgemeiner Grundsatz die gemeinsame elterliche Sorge über die Kinder eingeführt. Die elterliche Sorge beinhaltet das Recht, den Aufenthaltsort des Kindes zu bestimmen. Üben die Eltern das Sorge- recht gemeinsam aus und will ein Elternteil den Aufenthaltsorts des Kindes infolge Wegzugs ins Ausland verlegen, bedarf dies der Zustimmung des anderen Elternteils oder, falls dieser nicht einverstanden ist, der Kindesschutzbehörde, beziehungsweise des Gerichts.

Das Bundesgericht hat in der öffentlichen Beratung eines entsprechenden Falles am Donnerstag Grundsätze festgelegt, die beim behördlichen oder gerichtlichen Entscheid über den Wechsel des Aufenthaltsorts des Kindes infolge des Wegzugs eines Elternteils ins Ausland massgebend sind. Es ist davon auszugehen, dass nach dem Willen des Gesetzgebers die Niederlassungs- und Bewegungsfreiheit der Elternteile zu respektieren ist. Die Motive des wegziehenden Elternteils stehen damit grundsätzlich

Lausanne, 7. Juli 2016

Medienmitteilung des Bundesgerichts

nicht zur Debatte. Die Frage, die sich dem Gericht oder der Kindesschutzbehörde stellt, ist demnach nicht, ob es für das Kind vorteilhafter wäre, wenn beide Elternteile im Inland verbleiben würden. Die entscheidende Fragestellung ist vielmehr, ob das Wohl des Kindes unter der neuen Situation besser gewahrt ist, wenn es mit dem auswanderungs- willigen Elternteil wegzieht oder wenn es sich beim zurückbleibenden Elternteil aufhält. Es steht also immer das Kindeswohl im Zentrum, für dessen Beurteilung die konkreten Umstände des Einzelfalls massgeblich sind. Sind die Kinder bislang von beiden Elternteilen weitgehend zu gleichen Teilen betreut worden und sind sie dazu auch weiterhin bereit, ist aufgrund der Umstände des Einzelfalls zu eruieren, welche künftige Lösung den Interessen des Kindes besser entspricht. Das Motiv für den Wegzug eines Elternteils kann in Einzelfällen indirekt dann eine Rolle spielen, wenn dieser offensicht- lich nur deshalb ins Ausland geht, um das Kind dem zurückbleibenden Elternteil zu entfremden. In solchen Fällen wäre eine Umteilung des Kindes an den in der Schweiz verbleibenden Elternteil in Erwägung zu ziehen.

Im konkret zu beurteilenden Fall leben die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern eines heute sieben Jahre alten Mädchens seit 2010 getrennt. Sie betreuen die Tochter gemeinsam. Die Mutter beabsichtigt infolge einer neuen Beziehung den Wegzug nach Spanien. Weil der Vater mit dem Wegzug der Tochter nicht einverstanden ist, ersuchte die Mutter bei der Kindes- und Erwachsenenschutzbehörde Bern um Zustimmung, die ihr verwehrt wurde. Das Berner Obergericht bestätigte den Entscheid. Das Bundes- gericht weist die dagegen erhobene Beschwerde der Mutter ab. Die Überlegungen zum Kindswohl sprechen aufgrund der konkreten Umstände überwiegend zugunsten eines Verbleibs der Tochter in der Schweiz. Ausschlaggebend ist dafür unter anderem, dass die wegziehende Mutter abgesehen von der noch nicht gefestigten Beziehung keine Bezugspunkte zu Spanien hat und auch die Sprache nicht spricht. Im Weiteren wären ein abrupter Wechsel an einen nicht vertrauten Ort und die Einschulung in einer unbekannten Sprache nicht im Interesse des Kindes.

Kontakt: Peter Josi, Medienbeauftragter

Tel. +41 (0)21 318 91 53; Fax +41 (0)21 323 37 00 E-Mail: presse@bger.ch

Hinweis: Das Urteil wird nach Vorliegen der schriftlichen Begründung auf der Webseite www.bger.ch / „Rechtsprechung (gratis)“ / „Weitere Urteile ab 2000“ veröffentlicht werden (im Suchfeld die Urteilsreferenz 5A_945/2015 eingeben). Wann die schriftliche Begründung vorliegen wird, ist noch nicht bekannt.

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